Bioenergetische Analyse:
eine tiefenpsychologisch fundierte Körpertherapie

Unsere Haltung kommt von unseren Handlungen.
Unsere Handlungen kommen von der Not.
Wenn die Not geordnet ist, woher kommen dann unsere Handlungen?
Dann kommen unsere Handlungen aus unserer Haltung (Bert Brecht)

Von den Psychoanalytikern Wilhelm Reich und Alexander Lowen entwickelt ist die Bioenergetische Analyse heute eine hochdifferenzierte körperorientierte Charakteranalyse. Der Patient zeigt in der Art seiner körperlichen Haltungen und Gefühle seine grundlegenden Muster, wie er mit sich selbst, mit der Welt und ihm bedeutsamen Personen in Kontakt tritt. Indem der Therapeut konkret körperlich antwortet, indem er mit seinem Körper Halt gibt, Widerstand bietet, frustriert, bestätigt, ermutigt, unterstützt, entsteht gezielt ein neues Muster alternativer Hintergrundsempfindungen und Vorstellungsbilder. So kommt über die sinnliche Stimulierung des Informationsverarbeitungssystems ein Heilungsprozeß in Gang.

Die körperorientierte Psychotherapie wird angewandt bei

  • psychosomatischen Störungen (z.B. Asthma, Rückenschmerzen, Zähneknirschen
  • körperlichen Störungen mit seelischen Anteilen (z.B. Krebs, Immunerkrankungen, Ohrgeräuschen, Hörsturz)
  • Neurosen, Depressionen, Ängsten
  • Persönlichkeitsstörungen und Belastungsstörungen nach körperlichen und seelischen Verletzungen (z.B. nach Unfällen, Geburtstrauma, Mißhandlung, sexuellem Mißbrauch)
  • Störungen im Bereich Partnerschaft und Sexualität
  • zur Persönlichkeitsentwicklung

 

Die körperorientierte tiefenpsychologische Psychotherapie nach WILHELM REICH und dem Reich-Schüler ALEXANDER LOWEN ist ein genuin psycho-somatischer Ansatz in der Psychotherapie, denn sie verbindet in einer Therapieform, in einem Setting, Körperinterventionen mit tiefenpsychologisch-psychoanalytischer Aufarbeitung des Erlebten im Kontext einer korrigierenden Beziehungserfahrung mit dem Therapeuten.

Als ganzheitliche Behandlungsmethode überwindet sie die cartesianische Seele-Leib-Spaltung, wie sie sich paradigmatisch nicht nur in dem Begriff Psycho-somatik ausdrückt, sondern oft auch praktiziert wird als Psychotherapie am somatisch Kranken. Die körperorientierte Psychotherapie will den ganzen Menschen in seinen grundlegenden energetischen Prozessen erfassen. W. REICH  sprach von Bioenergie. Ich sehe die Bioenergie analog oder sogar erfahrungsmäßig identisch mit dem Chi- oder Ki-Begriff der Traditionellen chinesischen Medizin. Dabei handelt es sich letztendlich um einen universellen, kulturübergreifenden Erfahrungs-Archetyp, den es in unserer Kultur auch gegeben hat, z.B. bei PARACELSUS als vis medicatrix naturae oder mumia.

Schon SIGMUND FREUD suchte mit seiner Libidotheorie (1910 - 1923) diesen Archetyp als die körperliche Seite psychischer Energieprozesse zu erfassen. Aus vieldiskutierten Gründen nahm er aber Abstand von der konkret körperlichen Berührung und Massage seiner frühen Behandlungsjahre und beschränkte sich - zumindest theoretisch - auf verbale Interventionen. Sein Schüler WILHELM REICH, seinerzeit einer der gefragtesten Lehranalytiker in Wien, blieb konsequent bei dem libidotheoretischen Ansatz. In seiner Konzentration auf den ökonomischen Aspekt der Libidotheorie führte ihn das Konzept der Aktualneurose über eine Studie des impulsiven Charakters (heute als Borderline-Syndrom bekannt) und des Masochismus zur Entwicklung der Charakteranalyse. Nach seiner Sicht sind die wichtigsten Lebenserfahrungen und damit auch Abwehrstrukturen eines Menschen nicht nur in seinem geistig-seelischen Unbewussten, seinen Objektbeziehungsrepräsentanzen, sondern auch in seinem Körper (z.B. in Haltungsmustern) niedergeschlagen und dort erkennbar und evozierbar. So formen sich nicht nur Einstellungen und Charakterhaltungen, sondern auch körperliche Reaktionsmuster, Körperhaltung und eingeschränkte Körperbeweglichkeit. Die im Körper ,,eingefleischte" Charakterstruktur bestimmt die körperliche Eigenwahrnehmung, das Selbstbild und - über die Filterung der Wahrnehmung - das Weltbild.

So überrascht es nicht, dass durch Arbeit mit dem Körper ein psychotherapeutischer Prozess intensiviert, bereichert und oft abgekürzt wird (um genau zu sein: der Prozess selbst wird nicht abgekürzt, Hindernisse oder Blockaden jedoch, welche den Prozess verlangsamen oder verunmöglichen, werden aufgelöst). Es gibt sogar lebensbestimmende Erfahrungen, welche nie zu einer psychischen Repräsentanz gefunden haben, sei es, dass sie sich im (Körper-) Gedächtnis niederschlugen, als es einen genügend reifen psychischen Apparat noch nicht gab, sei es, dass das Erlebnis so überwältigend war, so traumatisch, dass die Psyche sich mit einem Schockzustand anästhesierte, um nicht zu zerbrechen und später die Unterstützung fehlte, diesen dann chronischen Schock wieder aufzulösen (chronic posttraumatic stress disorder, PTBS).

Obgleich C. G. JUNG nicht körpertherapeutisch gearbeitet hat, hat sein libidotheoretischer Ansatz bzw seine Sicht des Energie-Archetyps - wie in seinem Buch “Symbole der Wandlung” dargestellt - ihn zu einer Persönlichkeitslehre und einem Menschenbild geführt, das für mich eine geeignete Matrix darstellt für die analytische Körperarbeit. Vor allem fasziniert mich, wie durch die Arbeit mit dem Körper ein Kern der Persönlichkeit jenseits von Trieb, Moral, Abwehr und Anpassung erreicht wird, aus dem heraus ein Individuationsprozess sich entfaltet und energetisch speist.

In der körperorientierten Psychotherapie kommen aktive Körpenechniken zum Einsatz, wie z.B. Übungen zur Atemanregung, Streßpositionen, Ausdrucksübungen, Entspannungstechniken und flewegungsübungen, bei denen neuromuskuläre Haltungs- und Koordinationsmuster neu programmiert werden. Der Therapeut bringt sich aber auch über Berührung und (reflektiertes) szenisches ”Mitagieren” selber ein, nicht nur symbolisch oder imaginär, sondern konkret körperlich unterstützend oder haltend, oder spiegelnd, je nach dem Stand der Regression bzw. je nachdem, was zur Widerstandsanalyse oder Strulturbildung erforderlich ist

Diese Kombination von konkret-aktiver Arbeit mit dem Körper und psychoanalytischer Widerstands- und Übertragungsanalyse unter Nutzung der Gegenübertragungsinformationen macht diese Form der Psychotherapie zu einer Methode, die einen Zugang zur emotionalen Tiefenstruktur sowohl über den Körper wie auch über die Verstandes- und Gefühlswelt ermöglicht. Mit anderen Worten: der Therapeut stellt einen Raum zur Verfügung, in dem neben der klassischen  psychoanalytischen  Methodik  - wie  z.B   Traumdeutung oder Übertragungsanalyse - eine Ieibdramatische Inszeniening von Beziehungserfahrung, traumatischer Situation, Übertragung und Widerstand möglich wird und erarbeitet werden kann. In einer kürzlich von uns vorgelegten wissenschaftlichen Studie hat sich die körperorientierte tiefenpsychologische Psychotherapie - auch im Vergleich mit anderen Psychotherapie-Methoden - als besonders wirksarn erwiesen bei:

  • neurotischen Depressionen,
  • neurotischen Angsterkrankungen,
  • funktionalen psychosomatischen Erkrankungen, vor allem des Herz-Kreislauf-, Magen-Darm- und Urogenital-Systems sowie bei
  • psychosomatischen Erkrankungen im engeren Sinne.

Literatur: HEISTERKAMP, GÜNTER: Heilsame Berührungen, Stuttgart: Pfeiffer bei Klett-Cotta,1999

Bioenergie: Neurobiologische Aspekte am Beispiel Psychotrauma

Die komplexen Prozesse, die Bewegung ausmachen, werden über neuronale Netzwerke organisiert. Bioenergetische Analyse verändert neuronale Muster von

  • Körperhaltung und Muskeltonus
  • Bewegung und Körperausdruck
  • Atemmuster und Sauerstoffversorgung (alles quergestreifte Muskulatur)
  • Wahrnehmung und Bewertung.

Damit sich bei traumatisierten Menschen über kathartische Entladung die traumatische Stressphysiologie zurückbilden kann, bedarf es aus den neuropsychologischen Gegebenheiten ableitbarer Bedingungen. Die Bioenergetische Analyse beinhaltet alle wesentlichen Wirkfaktoren für eine erfolgreiche Traumabehandlung:

  • somatisch über haltgebende Berührung vermittelte Sicherheit
  • Neueinstellung des Hintergrundempfindens, der Körperbefindlichkeit
  • Aktivierung und Einbeziehung der Körperschleife
  • Aktivierung von „Körpererinnerungen“
  • Lösung des Schockzustandes durch Katharsis
  • korrigierende emotionale Erfahrung vermittels der Beziehung zum Therapeuten mit der Korrektur von Kognitionen über die Welt, den Anderen und sich selbst, also Korrektur von internalisierten Beziehungserfahrungen und Selbstwirksamkeit. Von unserem Zugangsweg her ist die Bioenergetische Analyse bestens geeignet für die Behandlung von Traumata.

Zusammenfassung Bioenergie II: Energiearchetyp und Quantenphysik

Schon vor  30 Jahren hat der Physiker Fritjof Capra auf die erstaunlichen Parallelen zwischen dem Weltverständnis der Quantenphysik und den weltweiten Vorstellungen über eine „Bioenergie“ hingewiesen. In den meisten Kulturen wird Leben mit der Wirkung eines immateriellen „energetischen“ Faktors erklärt. Der theoretische Physiker Thomas Görnitz und seine Frau Brigitte haben in ihrem Buch "Von der Quantenphysik zum Bewusstsein" diesen "energetische Faktor" mit ihrer Informationstheorie auf naturwissenschftliche "Füße" gestelt. Aufgrund neuester quantenphysikalischer Forschungsergebnisse lässt sich "Bioenergie" als eine henadische Gestalteigenschaft lebender System beschreiben, die sich aus ihrem quantenphysikalischen Hintergrund ableitet:

  • Wir sehen das Erleben von Bioenergie als Wirkung eines individuellen Quantenkernprozesses, der sich zeigt als Selbsterleben und Selbstäußerung eines individuellen immateriellen Informationskerns. Der materielle Körper wirkt dabei als Informationsempfänger.
  • Vom individuellen bioenergetischen Kern-Prozess kann sich immer nur das verwirklichen, kann immer nur das klassisch physikalisch faktisch werden, was das limbische System aufgrund seiner Wertungen zulässt.
  • Bioenergetische Analyse wirkt über den Abgleich aktivierter, sekundär quantisierter Gedächtnisinformation mit der im individuellen bioenergetischen Kern-Prozess als lebenserhaltend und verlebendigend enthaltenen quantischen Information.
  • Das empathische Einschwingen zwischen zwei Menschen, z. B. in der therapeutischen Situation, wäre dann quantenphysikalisch als Verschränkung zweier je individueller Quantensysteme aufzufassen, die – vorübergehend – eine empathische Einheit bilden. In dieser empathischen Verschränkung ereignet sich Heilung.

 

 

 

Dr. med. Karl-Klaus Madert - Whistlerweg 30 - D-81479 München